Zwischen Viren und Frühlingsgefühlen

 

Liebes Corona-Virus,

 

 

ich wünschte, ich hätte deine Bekanntschaft nicht gemacht.

 

 

Schon einige Zeit bevor du in unsere Nachbarschaft gezogen bist, kannte ich dich vom Hören-Sagen - und belächelte dich. Amüsierte mich über Asiaten im Mundschutz und die Abriegelung fernöstlicher Millionenstädte. Ich hatte keine Ahnung.

 

 

Zwischen uns lagen Welten und im Schoß des deutschen Gesundheitssystems wiegten wir uns in Sicherheit. Nahmen einen Schluck aus deiner Bierflasche und dachte wir wären weit entfernt und weit überlegen. Wir hatten keine Ahnung.

 

 

Und so ließen wir sorglos Tür und Tor hinter uns offenstehen und schenkten dir keine Beachtung, als du mit Siebenmeilenstiefeln über unsere Grenzen einmarschiert bist, eine Armee unsichtbarer Todesengel.  In unsere Flughäfen bist du eingeflogen, in heimische Häfen eingelaufen, bist in Schnellzügen weitergereist. Du hast Familien besucht, Mietskasernen, den Schulunterricht und dich in Altenheimen umgesehen. Hast dich in Schicki-Micki-Bars geschmuggelt, wurdest in Hörsäle geschleppt und auf hochrangige Businessmeetings. Hast auf Kinosesseln gesessen, bist durch unsere Einkaufsstraßen gebummelt, und durch einen schnellen Händedruck einfach mit jedem Fremden nach Hause gegangen. Und bevor wir wussten wie uns geschah, hattest du dich schon überall breit gemacht. Über Nacht bist du zum Alptraum einer ganzen Welt geworden. Allerorts begehst du Verbrechen gegen die Menschlichkeit und dein Ende ist noch lange nicht abzusehen.

 

 

Wir halten den Atem an. Die Welt steht Kopf, nichts ist mehr wie es war und uns schwindelt in deiner rasanten Achterbahn von Hiobsbotschaften. Wir fühlen uns wie Akteure in einem Sciencefiction-Film und suchen verzweifelt die Stopp-Taste. Es gibt sie nicht. Stattdessen schickst du uns in Stubenarrest und verriegelst die Tür zu unserem Alltag. Minister oder HartzIV, du bist nicht wählerisch, wir alle werden zu deinen Gefangenen. Uns fällt die Decke auf den Kopf, denn die Vergnügungsindustrie wurde ebenfalls in Quarantäne geschickt und überlastete Netze brechen in die Knie. Lediglich die Systemrelevanten schleichengehetzt mit Atemmasken durch menschenleere Gassen und arbeiten bis zum Umfallen. Du hast Ruckzuck neue Gesetze verabschiedet, Geld regiert nicht mehr die Welt und was gestern undenkbar war, ist heute normal.

 

 

Ein Morgen nach dem anderen dämmert durch meine Rollladenschlitze, Tage im Ausnahmezustand. Momente, die die Weltgeschichte in Vorher und Nachher einteilen werden.

 

 

Zwei Gefährten begleiten meinen Weg dieser Tage, der neue Virus und ein vertrauter Freund, der Frühling. Denn der kam plötzlich ganz unbedarft mitten in die Katastrophe, purzelt wie gehabt um diese Zeit aus allen Knospen und lacht laut und vergnügt. Und ich flüstere ein bisschen verstört und doch erfreut: „Hast du noch nicht gehört?“ denn es fröstelt mich in der Sonne, und die Bilder weltweiter Särge liegen wie Trauerschleier vor dem strahlend blauen Himmel. „Hab ich“ nickt er. Und sein Blick ist entschlossen, vielleicht sogar ein bisschen trotzig.

 

 

Und so geben Todesnachrichten und Geburtsanzeigen einander die Hand in dieser Zeit. Menschlichkeit und Vereinsamung. Weltuntergangsstimmung und Osterglocken. Angst und Schmetterlinge im Bauch. Mutausbrüche und düstere Propheten. Fürsorge und Sicherheitsabstand.

 

Zwischen ihnen lebe ich.

 

Und lerne.

 

 

Ich lerne Demut von dir, tödlicher Virus. Du lehrst mich meinen Platz in der Welt. Lachst über meine Wichtigtuerei. Lässt mich meiner Ohnmacht ins Gesicht blicken. Bringst mir bei, mich nicht zu überschätzen. Du erinnerst mich, was zählt im Leben und wahrhaft weise ist. Ziehst ungefragt meine Handbremse und bringst mich mein überhöhtes Lebenstempo zum Stillstand. Zum Nachdenken. Zum Dankbar-Sein. Zum Ernstnehmen. Zu heilsamen Selbsterkenntnis. Zum Gottvertrauen. Das Leben neu zu sortieren.

Für die unter uns, die dich überleben werden – lass uns gesunden, dort wo unser Leben krankt.

 

 

Und von dir mein lieber Frühling will ich das Trotzen lernen. Das Singen in der Dunkelheit. Das Tanzen im Nordwind. Die Fürsorge um die Hoffnung. Die Auferstehung nach der Frostnacht, Zuversicht, auch wenn alles Leben noch unsichtbar in den Knospen schlummert. Ich will deine Lebensfreude Herz und Fenster und jede Dachluke öffnen, denn du wirst in meinem Innern dringend gebraucht.

 

 

Lieber Frühling, du wirst den Virus überleben. Denn der, der dich ins Leben gerufen hat, hat sein allmächtiges Wort gegeben, dass Sommer und Winter für immer in unserer Welt Ringelreihen tanzen werden. Versprochen ist versprochen.

 

Und gerade deshalb werde ich Hoffnung und Träume in mir sicher hüten, damit sie überleben und gesund bleiben.

 

Denn in unserer neuen Jahreszeit wird das Leben sie bitternötig haben.

 

 

 

 

 

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Kommentare: 8
  • #1

    Bettina (Samstag, 28 März 2020 10:18)

    toller Text, sehr einfühlsam und absolut nichts hinzuzufügen

  • #2

    Christa (Samstag, 28 März 2020 17:38)

    Dem kann ich nur zustimmen Bettina

  • #3

    Esther und Albrecht (Samstag, 28 März 2020 19:08)

    Genau so ist es, liebe Dani! Du hast unsere Gefühle wunderschön in treffende Worte gepackt .Wir sind tief berührt. Danke.

  • #4

    Sonja Thorschmidt (Samstag, 28 März 2020 19:35)

    Vielen Dank, die Worte treffen den Nagel auf den Kopf.
    Wünsche allen positive Gedanken, freut euch am Frühling und der Natur und bleibt gesund.

  • #5

    Thomas W. (Samstag, 28 März 2020 19:41)

    DANKE!

  • #6

    Roswitha W. (Samstag, 28 März 2020 22:23)

    Wunderbare Zeilen!! Gefühle und Gedanken... einfach toll wiedergegeben!!
    Danke (:

  • #7

    Sibylle (Sonntag, 29 März 2020 12:04)

    Wunderschön. Herzlichen Dank dafür

  • #8

    Stephan und Bärbel (Sonntag, 29 März 2020 16:52)

    Sehr gute und wahre Worte!
    Vielen Dank!