Was ist, Mama?

 

Mitten in dieser Krise geschah noch etwas, das mich in die Grundfesten erschütterte. Ich habe es genauso wenig kommen sehen wie Corona.

 

Ich bin gestern Morgen um 8.30 Uhr aufgewacht. Was?! Ich sprang panisch aus dem Bett, musste ich doch davon ausgehen, dass meine Kinder entführt worden waren. Denn seit einem halben Dutzend an Jahren weckt mich entweder Kindergeschrei, einer der Frühstückshunger hat oder mir die Nase zuhält und das spätestens um 6.00.

Jetzt war es zweieinhalb Stunden später, ich war seltsam wach und ausgeschlafen und um mich herum war es totenstill. Halt, nein warte… Meckerte da nicht Krimhild, die Ziege irgendwo in der Ferne? Im Gegensatz zu sonst, wusste ich sofort wo ich war und riss die Tür zum Kinderzimmer auf. Und da saßen meine beiden Süßen komplett angezogen und mit selbstfrisierten Zöpfen, malten Liebesbriefe für eine scheidende Erzieherin und starrten mich erschrocken an. „Was ist Mama?“ fragten sie mit großen Augen.

 

Was ist?! Ja, was ist?

Ich sag es Euch, was ist. Es gab vorgestern schon einen ähnlichen Vorfall. Ich wollte es eigentlich nicht an die große Glocke hängen und einfach zur Tagesordnung übergehen. Normalerweise haben wir jetzt in der Krise nach dem Mittagsmahl eine kleine Pause. Die Kinder gehen in ihr Zimmer und geben Mama und Papa ein bisschen Zeit für rabenschwarzen Espresso, verschnaufen und ein Erwachsenen-Gespräch. Dann ist sie auch immer schon vorbei, die Pause, denn sie ist nur eine Freddy-der-Esel-Geschichte lang. Und sie ist auch meistens zehnmal unterbrochen, weil ein Schwesternstreit geschlichtet werden muss, dem Puppenkind die Schulter ausgekugelt wurde oder eins der Kinder aus dem Stockbett gefallen ist.

Gestern hörte man nichts dergleichen. Die halbe Stunde verging ereignislos. Normalerweise kommen beide danach sofort lärmend aus dem Zimmer gestürmt mit der Frage nach dies und jenem und was machen wir jetzt? Die Tür blieb zu. Erst freute ich mich. Dann wunderte ich mich. Dann ging ich nach dem Rechten sehen. Es war alles rechtens.

Ich saß draußen im Garten und genoss die Stille. Ich las. Ich schrieb 2 Kapitel für mein neues Buch (am Stück, das gabs noch nie). Ich brachte liebevoll geschnittene Apfelstücke und Kekse ins Kinderzimmer. Ich wurde nicht beachtet. Im Spiel war jemand anders die Mama und ich störte ein bisschen. Die Äpfel grüßten mich abends braun und verschrumpelt wieder. Ich überlegte einen Kuchen zu backen, obwohl der andere noch nicht aufgegessen war. Ich wünschte mir ein Strickzeug. Ich überlegte tatsächlich kurz (sehr kurz), im Kinderzimmer zu fragen: „Kann Mama mitspielen?“ Ich tat es nicht. Stattdessen wanderte ich rastlos durchs Haus und wusste nicht so recht etwas mit mir anzufangen.

 

Vielleicht hast du keine Ahnung wovon ich rede. Doch seit 6 Jahren sind meine Tage ferngesteuert. Eigentlich 6 Jahre und 3 ½ Wochen, denn die letzten drei Wochen vor der Geburt konnte ich mich kaum mehr fortbewegen und deswegen zählen die nicht. Seitdem bin ich Mama und Familienmensch, Trösterin, Spielgefährtin, Köchin von Spaghetti in allen Variationen, Windelwechslerin, Putzfrau, Taxifahrerin, Bastelexperte, Memory-Looser und erzähle Gute-Nacht-Geschichten.

Das ist mein Leben und ich liebe es von ganzem Herzen. Doch Zeit, einfach ich zu sein, gab es neben Arbeit, Kinder und Haushalt fast nicht. Das Gold dieser Season war, wenn mein Mann fragte: Willst du heute mal was alleine machen? Alleine. Mutterseelenalleine. Und mich erfasste fast der Schwindel, weil ich die nächsten 3 Stunden füllen wollte mit allem, was ich, einfach nur ich liebe. Ich schrieb, las keinen einzigen Mama-Blog, schlenderte durch Kaufhäuser ohne Kinderabteilung. Diese Zeit was teuer und kostbar und ich kam nie auch nur eine Minute früher zurück nach Haus.

Jetzt scheint mir dieses Glück der Inflation unterworfen. Plötzlich gibt es Zeit für mich, fast mehr als mir lieb ist. Und ich musste neulich sogar der Langeweile davon etwas abgeben. Plötzlich sind die, die mich so sehr gebraucht haben, mir ein Stück entwachsen. Können tatsächlich mal ziemlich lange ohne mich.

 

Was ist?! Das ist. Jetzt weißt du’s. Meine Kinder haben eine neue Zeit eingeläutet. Ich kann jetzt mal bis 8.30 Uhr schlafen ohne einmal geweckt zu werden. Ich werde mein Buch veröffentlichen. Ich bin eine Mama mit Zeit für mich selbst. Das hört sich gut an. Und ist es auch.

Und doch bin ich - ehrlich gesagt - auch ein wenig wehmütig gestimmt. In den 6 Jahre und 3 ½ Wochen fühlte es sich an, als würde das alles für die Ewigkeit so sein. Als würde ich für immer ein gefordertes Muttertier sein. Es war anstrengend. Aber auch wunderschön. Von jemand so gebraucht zu werden. Für jemand der Mittelpunkt der Welt sein zu dürfen. Mich mit Haut und Haar für diese zwei klitzekleinen Leben zu geben. Das ist nicht mehr. Und es wird nie mehr so sein.

 

Doch dann saßen wir gestern Abend eng aneinander gekuschelt auf dem Sofa und schauten uns zum ersten Mal einen Kinofilm in voller Länge an. Mit Popcorn nach dem Zähneputzen. Bis die Sonne schon untergegangen war. Mit meinen großen Kindern. Und hach, das war versöhnlich schön.

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