Hinter der Maske eine andere werden

 

Klitzeklein und übermächtig begleitet dieses Virus meine Tage schon seit viel zu lange Zeit.

 

Und ich bin so müde wie jeder andere. Gelangweilt von der alten Leier, will sie nicht mehr hören und mir die Finger in die Ohren stopfen. Bin müde der Hiobsbotschaften und Schreckensnachrichten und fake news. Müde, nicht sein zu können, was ich bin. Müde der abgesagten Vorfreuden auf meinem Kalenderblatt. Müde aller tagtäglichen Ausnahmezustände, die meine Flexibilität überstrapazieren. Müde dieses Klotzes am Bein, der behindert und verhindert, dass ich hierhin und dorthin unterwegs bin. Müde, dass meiner Freiheit Zügel angelegt werden. Müde der Risikogebiete und Neuinfektionen. Müde von Lockdown und Sicherheitsabstand.

 

 

Mir fehlt die stürmische Umarmung meiner Lieben, das unbekümmerte Feiern, das Um-den-großen-Tisch-sitzen. Ich will das Lächeln der anderen nicht nur hinter ihrer Maske erahnen. Ich vermisse lautes Singen, Spontanität, einen mitfühlenden Händedruck, Kindergeburtstag, Urlaub, feierliche Gebete in der Kirche und netten Familienbesuch, Nähe und Kaffeekränzchen – weil sie meinem Alltag die Sahnehaube aufsetzen, das Tüpfelchen auf dem i sind, meine Tage liebens-und lebenswert machen und mein Herz glücklich.

 

 

Natürlich geht es auch ohne all das. Man nennt es existieren.

Ein langer Winterschlaf scheint mir die bessere Option. Erst nach dem kalten Grummeln, den ernsten Gesichtern des Robert Koch Instituts und allem Social Distancing wieder aufzuwachen und sich zu freuen, dass die Welt wieder in Ordnung ist.

 

„Als ob es so einfach wäre“, seufzt der Realist in mir, „die Welt ist eine andere geworden.“

 

 

Es stimmt. Die Welt ist eine andere geworden. Und auch ich bin davon nicht verschont (auch wenn ich mir dieser Tage nicht immer sympathisch bin). Zugegeben: Ich beschwere mich mehr als zuvor. Man hat ja jetzt auch Zeit dafür. Manchmal jammere ich sogar was das Zeug hält. Oft geht mir die Puste aus in dieser neuen Weltordnung. Sorgen halten Händchen mit mir. Die Zukunft sieht nicht rosig aus und manchmal will mir angst und bange werden.

 

 

Doch vielleicht kann ich auch – mittendrin in dieser Pandemie- eine Andere werden.

 

Eine, die eine gute Portion mehr Ausdauer und Durchhaltevermögen ihr eigen nennt. Und mehr Geduld. Die sich in Gelassenheit übt und im Erinnern an wahre Sicherheit und alte Gottesversprechen. Eine, die die Trotzdem-Seite des Glaubens erlernt und der das Hoffen besser gelingt als letztes Jahr. Eine, die das Vertrauen nicht wegwerfen will, weil die Belohnung noch aussteht. Eine, die neue Wege fürs Trösten findet. Und fürs Zusammensein. Den Nicht-ideal-Zustand umarmen lernt. Die sich den Blick in dem Himmel nicht nehmen lässt und nicht das versprochene Happy End.

 

Und wer weiß, vielleicht braucht es - um diese andere zu werden - genau diese besondere Zeit und keine andere.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Uli May-Schuster (Mittwoch, 02 Dezember 2020 10:03)

    Vielen Dank für deine Mut machenden Worte!
    Das will ich mir für heute vornehmen, die zu werden, mit Gottes Hilfe, die mit der Geduld und der Ausdauer, die mit dem Funken Glauben an die Gottversprechen, die mit dem Blick in den Himmel!! Danke!