Ich hatte heute keinen Schirm dabei

Ich habe es gerade noch ins Café geschafft vor dem Gewitter. Einen Cappuccino. Ja, bitte einen großen, und ja bitte mit Schoko Pulver.

Und während ich mich tiefer in den gemütlichen Ledersessel sinken lasse und die Kissen zurechtrücke, spüre ich wie auch meine Seele plötzlich die Beine hochlegt. Der braune Zucker rieselt auf die Milchschaum-Haube und versinkt weicht und lautlos. Wohlige Süße macht sich in meiner Tasse breit.

Die Hektik hat mich schon ein paar Stunden vor sich hergetrieben, aber plötzlich und ganz unerschrocken vor den Termin-Riesen schiebt sich dieser Regenguss zwischen uns und lässt mich die Ausfahrt aus der Alltags-Schnellstraße nehmen.

 

Ich starre durch die triefenden Scheiben. Alles hastet und eilt unter durchtränkten Kapuzen oder angespannten Regenschirmen die dem grauverhangenen Himmel trotzen.

Ein kecker Windstoß bläst die Tür zum Café auf, wirbelt Blätter raschelnd um meine Füße. Und irgendwie fühle ich plötzlich, wie du hereinkommst. Nein, ich kann dich nicht sehen, aber ich spüre wie deine wohltuende Gegenwart sich auf meinen Tisch zubewegt. Nimm doch Platz Jesus. Schön. Wunderschön. Du und ich, als wären wir hier verabredet gewesen. Meine Seele rückt ein Stück zur Seite, macht Platz für dich. Du hängst deine Jacke an dem Stuhl. Du bist nicht nur hereingekommen für einen schnellen Händedruck. Du bist hier um zu bleiben. Nimmst du auch einen Großen mit Schoko-Pulver?

Und jetzt sitzen wir hier und freuen uns wie zwei alte Freunde über ein unerwartetes Wiedersehen. Es gibt einiges zu erzählen. Schon ein paar Morgende bin ich einfach in meinem Tag gestolpert, die To-do-Liste hat mir von morgens bis abends ins Ohr gebrüllt und mich schließlich nur noch abends erschöpft auf mein Kissen  sinken lassen. Alles gute Dinge, die die Liste füllten, aber waren sie auch wirklich so wichtig wie sie sich gaben? Naja, viel Zeit blieb jedenfalls nicht. Zum Beispiel  für einen großen Cappuccino mit einem guten Freund. Ich weiß, du bist sowieso dabei gewesen die letzten Tage auch ohne spezielle Einladung meinerseits, doch es tut gut dir einfach zu erzählen, mir von der Seele zu reden, in Worte zu fassen, was mein Herz bewegt.

Du bist schon immer ein guter Zuhörer gewesen, lauschst gebannt, als gebe es nur mich in deinem Universum. Deine Augen sind nicht abgelenkt vom Geschehen am Nebentisch.

Du legst mit einem Lächeln deine Hand auf die meine, die unablässig mit den Zuckertütchen spielt. Ich lache verschämt zurück während sich in mir Frieden ausbreitet.

Und es tut gut, deine Stimme zu hören. Mal deine Perspektive der Dinge zu sehen. Deine Worte mein Herz treffen lassen.

 

Und dann schweigen wir noch lange. Wie das die eben tun, die einander vertraut sind, die nicht jeden Zeitzipfel mit Nichts-Sagendem füllen müssen. Lauschen dem Toben des Himmels, der die Regentropfen wie glitzerndes Konfetti überall verstreut und krachend über uns zusammendonnert.

Nach irgendetwas, das sich anfühlt zwischen Minuten und einer kleinen Ewigkeit ziehen die Wolken weiter. Wir gehen nach draußen. Die Luft riecht nach frisch und Neuanfang. Eine feste Umarmung, ich mache mich auf den Weg zurück in den Alltag.

Ach, du bist schon immer Der gewesen, dem der Sturm und die Wolken gehorchen. Und mir ist, als hättest du – Herr der Gezeiten – heute nur für mich den Himmel gewittern lassen. Als ich mich nochmals umdrehe, zwinkerst du mir zu. Ich lache leise in mich hinein. Wie gut dass ich heute keinen Schirm dabei hatte.

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