Umzug in eine neue Jahreszeit

 

 

Manche Zeiten im Leben sind wie Umzüge.

Obwohl man im gleichen Haus wohnen bleibt, der Briefträger an die gleiche Adresse liefert und man nicht mal die Möbel umstellt. Trotzdem gibt es Zeitpunkte, in denen man wie auf gepackten Koffern sitzt. Innerlich meine ich. Etwas im Leben ist zum Abschluss gekommen. Und Veränderung drängt uns, uns auf den Weg zu machen.

 

Veränderung, das sind Momente zwischen bisher Gewesenem und dem noch schüchternen Neuen, das aber beständig den Fuß in die Tür der alten Behausung stellt.

Manchmal ist es die Sehnsucht, die Abenteuerlust, die einen lockt hinauszuziehen in die grosse weite Welt. Einfach mal zu entdecken, was sonst noch sein könnte. Waghalsig sich aus dem Fenster lehnen. Mutig an unbekannte Türen klopfen.

Manchmal scheidet man aus dem alten Zuhause mit weniger Vorfreude. Als wäre einem in einem schockierenden Moment einfach die Wohnung gekündigt worden. Als würde die Veränderung den Boden unter den Füssen wegreißen und einfach den Teppich zusammenrollen. Dabei fühlt man sich hier in den eigenen vier Wänden so wohl.

Manche Veränderung ist, als drohe der Seele eine Zwangsräumung. Da drängen sich ungeladene Authoritäten in unsere Lebensräume. Schwarze Gesellen tragen Liebgewordenes ohne Kommentare aus der Wohnung, während wir fassungslos daneben stehen.

Umzüge in eine neue Zeit sind immer mit Herzschmerz verbunden. Zuhause-Sein auf Umzugskisten zu reduzieren fällt schwer. Doch einfach wohnen zu bleiben, wenn das Leben schon weitergezogen ist, scheint auch keine Alternative.

 

Ich gehe ein letztes Mal durch meine vertrauten Räume, in denen das Leben seine Spuren hinterlassen hat. Selbst wenn ich eines Tages hierher zurückkehren würde, es würde nicht mehr dasselbe sein.Ich hätte nicht mehr genug Lebensraum hier. Ich bin über dieses Haus hinausgewachsen, als rage mein Kopf ständig aus der Dachluke.

Aus freien Stücken ziehe ich dieses Mal weiter und doch zwinkern Tränen in beiden Augenwinkeln. Soviel Leben hat in diesen Räumen getobt, soviel Lieder hallten von seinen Wänden. Frohsinnige Erinnerungen lugen aus jedem Winkel. Verstreute Kissen zeugen von durchweinten Nächte und errungenen Siegen. Manches ist schon sicher in Kisten verschnürt. Anderes steht noch mit offenem Deckel, unabgeschlossen und mit gefühlter Leere.

 

Ich durchwühle meine Seelen-Schubladen. Da ist es ungeordneter als gewöhnlich. Aufgeräumte Menschen würden es wohl Chaos nennen. Unsicherheit und Wehmut liegen gleich obenauf, mit einem doppelten Gummiband Anspannung zusammengezurrt. Zwei angebrochene Tüten Optimismus auf ein paar Seiten hingekritzelter Zukunftspläne und einer Liste Notfall-Nummern. Offene Fragen und Stossgebete kreuz und quer verteilt. Furcht lauert in der rechten hinteren Ecke. Daneben einer Schachtel Gottesversprechen. Einen Großpackung Träume. Nervenkitzel-Federn und Vorfreude flattern aufgeregt aus der Schublade. Es wird Zeit brauchen zu sortieren, einem jeden wieder seinen Platz zuzuweisen und den Seelenaufruhr zu besänftigen.

 

Ich lasse den Schlüssel von innen stecken. Hebe meine Koffer hoch. Ich gehe als Beschenkte von hier. Mein Gepäck wiegt schwer an Gutem. Unverdientem Segen. Den will ich nicht zurücklassen. Ich werde seine Rückendeckung brauchen.

Alles Schwere und Bittere stopfe ich mit plötzlichem Entschluss in den Müllcontainer, mit dem festen Versprechen an mich selbst, es nicht mehr herauszuzerren. Ballast soll bleiben, nur das kleine Paket gelernter Lektionen soll einen Ehrenplatz im neuen Leben haben. Klein und unscheinbar in meiner Manteltasche verstaut, geht es doch als grosser Schatz mit mir. Gerade das, woran ich oft laut ächzend trug, es hat mich standfester werden lassen. Mitfühlender. Demütiger. Es hat mir einen grossen Dienst erwiesen. Mir ein weicheres Herz eingepflanzt, das größer lieben und hoffen kann.

Ungewohnte Räume warten auf mich. Neue Mitbewohner. Man wird sich gewöhnen müssen. Vielleicht werde ich sehnsuchtvoll Ägyptens Bilder an meine neuen Wände malen. Eine lange Weile mit Heimatlosigkeit kämpfen. Mich zurücksehnen.

Ja, gut möglich. Und doch ich will gehen mit erwartungsfroher Zuversicht, dass mein Gott mich durch alle Veränderung nicht aus den Augen lässt. Dass er mein Zukunfts-Zuhause schon kennt. Lachte, während er bereits die Balkonkästen für mein Willkommen bepflanzte, Kerzen in den Küchenschrank legte und eine grosse Flasche Schaumbad neben die Badewanne stellte. Er weiß um meine Vorliebe für Dachfenster und Geschirrspüler. Offene Feuerstellen und große Spiegel mit kitschig verschnörkeltem Rahmen. Einen romantisch verwilderten Garten mit Trauerweide hinterm Haus.

 

Nein, ich will mich nicht fürchten. Und sollte die Angst sich immer wieder doch klammheimlich anschleichen, dann will ich meinen Gott bestürmen, seinen farbenfrohen Bogen durch die Wolken blitzen zu lassen. Seinen himmlischen Zeugen, mich zu erinnern, dass er durch alle Veränderungen Derselbe sein wird.

Letztenendes werde ich hier in diesem Leben immer mal wieder woanders zuhause sein. Meine Lebensräume immer wieder neu erfinden, anbauen, umbauen, untervermieten, neu einrichten. Hier habe ich keine bleibende Stadt.

Ich werde unterwegs sein, bis zum Abbruch meiner Zelte, zum Neubeginn in der Wohnung, die Gott selbst für mich vorbereitet hat. Dieses Haus wird mir wahre Heimat sein. Jahreszeiten und Umzüge wird es nicht mehr geben. Nur noch ewiges Zuhause-Sein.

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