Geburtsanzeige

 

Hach, es weihnachtet wieder sehr. Tatsächlich packt mich alle Jahre das Gefühl, wieder ein kleines Mädchen zu sein, das auf das Weihnachtsglöckchen wartet.
Ich liebe es, in den Geschäften leise die Weihnachtslieder mitzusummen während ich Kinderzahnpasta, Kartoffeln und Halsbonbons in den Einkaufskorb häufe.
Jeden Tag mit Vorfreude hinter das nächste Türchen des Adventskalenders zu spicken und sich von Zimt und Nelkenduft die Nase kitzeln zu lassen.
Ich liebe den warmen Kerzenschein hinter den Fenstern unserer dunklen Straße unddas abendliche Kuscheln unter eine Wolldecke.
Ich liebe es, morgendlich bei Nacht und Nebel mit meinen und allen anderen noch verschlafenen Kindergartenkindern im Kerzenlicht behutsam das Morgengrauen mit unseren Adventsliedern zu wecken.

Irgendwie liegt über diesen Tagen immer ein gewisser glitzernder Zauber.

 

Doch wenn ich das alte Buch aufschlage und die Bilder der ersten Weihnachtsgeschichte auf mich einstürmen, dann ist es, als würde ich von meiner vorweihnachtlichen Wolke Sieben auf einen Boden harter Tatsachen geschubst.

Irgendwie hat mir meine ganze religiöse Bildung eine übernatürlich-weltfremde Krippenszene einzubläuen versucht. Eine makellos schöne Maria in wallenden bügelfreien Gewändern, die mit entrückt-heiligem Lächeln auf ein immer selig schlafendes Jesus-Kind blickt.
Spätestens seit ich selbst Kinder zur Welt gebracht habe weiss ich, dass diese Szene ganz bestimmt keine realistische Momentaufnahme der Heiligen Nacht ist.

 

Maria war höchstwahrscheinlich lediglich ein junger Teenager und neun Monate vor der Stunde 0 kam dieses Mädchen im wahrsten Sinn des Wortes wie die Jungfrau zum Kinde.
Klar, Maria hatte den Bonus der Engelserscheinung mit klarer Ansage was in ihrem Bauch vor sich gehen würde. Aber welche Eltern bitteschön, welche Verwandschaft – wer um Himmelswillen überhaupt – würde einer 14jährigen in deren Körper sowieso die Hormone verrückt spielen, so etwas Unerhörtes glauben? Was wollte sie vertuschen? Wen der Dorfjungen decken?
Rechtlich gesehen hätte sie damals gesteinigt werden sollen – und auch wenn dies nicht geschah, war jeder Gang durchs Dorf mit Sicherheit ein Spießrutenlauf. Engelserscheinung, pah!? Hinter vorgehaltener Hand wurde getratscht und und über ihr Liebesleben spekuliert.

Insofern könnte man diese 9 Monate durchaus als Risikoschwangerschaft bezeichnen. Eine Achterbahn der Gefühle – von dem erhebenden Wissen die Gottesmutter zu werden, dem vielleicht nagendem Zweifel, zu den ersten Bewegungen des Ungeborenen und dem ungläubigen, verletzten Blick ihres Verlobten. Wie konntest du nur Maria?!
Und dann – statt die Kinderstube frisch zu streichen und kleine Neugeborenen-Strampler in die Kommode zu sortieren – werden Maria und Joseph auf diese Reise gezwungen. Hätte es einen ungünstigeren Zeitpunkt für diese Volkszählung geben können?! Hatte Gott sich etwa mit dem Geburtstermin seines Sohnes verrechnet? Wäre es Maria nicht wahrhaft nach all dem zu gönnen gewesen, umsorgt von Mutter und Familie im Komfort ihres Zuhauses diese Geburt durchzustehen?
Stattdessen setzen die Wehen noch unterwegs auf dem Eselsrücken ein. Panisch klopft Joseph an geschlossene Türen und überfüllte Hotels. Kein Platz nirgends. Abgewimmelt. Weggeschickt. Unerwünscht. Maria windet sich vor Schmerzen und Josephs Nerven liegen blank.

Und schliesslich ist es einfach ein Viehunterstand, von den Tieren verschmutztes Heu, Stallgeruch und Dunkelheit – so kommt Marias Sohn in diese Welt. Keine Mutter erträumt sich so die Ankunft ihres Kindes.
Es war kein würdevoller Moment. Unerfahrene Hände wickeln den blutverschmierten, schreienden Säugling in eine Stoffwindel. Joseph vertreibt die Tiere vom Futtertrog und legt das Neugeborene kurzentschlossenen hinein. In jeder Krippenszene macht der starke, schützende Joseph das Bild komplett. Doch was schießt dem Mann durch den Kopf, der mit Sicherheit hier noch völlig mit der neuen Situation überfordert ist? Der unfreiwillig und ungeplant wahrscheinlich als Geburtsthelfer einspringen musste und jetzt ein Kind auf dem Arm hält, das kein einziges Quäntchen seiner DNA trägt? In dessen Gesichtszügen er nie Ähnlichkeiten mit seinen eigenen sehen wird? Vor dem er nie mit stolzgeschwellter Brust stehen wird und befriedigt feststellen: wie der Vater so der Sohn?

Es werden mir keine Details berichtet in meinen alten Schriften, doch meine Fantasie kann sich den Ausnahmezustand ausmalen, den dieses Wochenbett für alle Beteiligten bedeutete. Keine Spur von heiligem Klingbim, kein leuchtender Stern, keine Engelschöre zur Ermutigung.
Die einzige Musik ertönt draussen auf dem Feld, zu weit ab vom Schuss um die Ohren der heiligen Familie zu erfreuen. Dort grasen ein paar verschlafene Lämmer. Ein paar müde Hirten schieben Nachtschicht.
Und die zucken gewaltig zusammen, als plötzlich und ohne Vorwarnung ein gewaltiger Engel vorbeischaut, das Kind im Stall ankündigt und der Himmel von mehrstimmigen Engelsgesang widerhallt.

Da fragt man sich doch irgendwie…? Dem Himmel muss doch wahrhaft bewusst gewesen sein, dass es dieses Event wert gewesen wäre, die gesamte Erdkugel mit Engelszungen zu beschallen und den einzigen Auftritt gibt es auf einer stockfinsteren abgegrasten Wiese für ein paar Provinz-Schäfer?!

Und die hasten wie elektrisiert zum Stall und finden alles haargenau wie vom Himmel berichtet vor. Maria, erschöpft von den unendlichen Strapazen schreckt entsetzt hoch, als die atemlosen, dunklen Gestalten in den Viehstall stürmen.
Doch dann seufzt sie erleichtert auf: Hier ist er also nochmals, der Beweis, dass sie sich das nicht alles einfach nur zusammengereimt hat. Diese Schafhirten berichten dass der Himmel heute jubelt und singt. Also hat alles seine Richtigkeit. Der Messias ist da.


Auch noch andere werden informiert. Astrologen irgendwo in einem Land, weit entfernt.
Diese orientalischen Magier, die ihre Teleskope nächtelang in den Himmel bohrten, erkennen das überirdische Sternenleuchten als so königlich, dass sie sich umgehend in den Kamelsattel werfen.
Wie nochmal?! Warum gibt es keinen Engelchor in der Pension um die Ecke, keinen Sternschnuppen-Regen auf Bethlehems Marktplatz? Dafür folgen irgendwelche fragwürdige Sternedeuter – die vom Gott Israels und seinem Hilfeplan zur Rettung der Welt keinen blassen Schimmer haben – nächtelang einem strahlenden Stern bis dieser irgendwo auf einem Hausdach endlich zwischenparkt. Ich werde, ehrlich gesagt, aus der ganzen Geschichte nicht so ganz schlau. Doch irgendwie schien es Gott extrem wichtig, diesen drei Weisen aus dem Morgenland eine Geburtsanzeige seines Sohnes in ihrer Sprache zu schicken.

Kein Wunder, dass der elegante Besuch in glanzloser Hütte Aufsehen erregt bis in höchste Kreise und es ist wie immer: die Mächtigen fürchten um ihre Position und spielen sich auf und lassen die Säbel klirren.


Und noch bevor der Morgen graut, packt Joseph nach göttlichem Weckruf in einer Nacht- und Nebelaktion Kind und Kegel wieder auf den Eselrücken und verlässt fluchtartig das dunkle Dorf. Und während die kleine Familie um Kopf und Kragen rennt, hallen die Strassen des unglücklichen Bethlehem wider von entsetzlicher Todesangst und den Schreien völlig traumatisierter Müttern.
Und da sitze ich nun mit Tränen in den Augen und diese alte Weihnachtsgeschichte will so ganz und gar nicht zu meiner heimeligen Adventsstimmung passen. Nein, ich kann nicht einfach unberührt die Schultern zucken, alle unbequemen Gedanken auf Januar vertagen und mir weiter den Kopf zerbrechen, wie ich die beschenken kann, die schon alles haben.


Denn ich weiß, würde Jesus dieses Jahr an Weihnachten geboren werden, würde er sich nicht unter meinen Mittelklasse-Christbaum setzen und einfach Gesellschaftsnorm mitfeiern.
Er würde niemals akzeptieren, dass wir kurzerhand seinen Geburtstag zum Fest des Konsums degradiert haben und unsere Papiertonne überfüttern, bis sich ihr Bauch unter aufgerissenen Geschenkverpackungen wölbt.

 

Und in mir steigt die Ahnung auf, dass er aus recht trifftigem Grund so und nicht anders damals zu uns kam, um uns zu besuchen.
Auch heute würde er seinen Geburtstag mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit wieder mitten im Land der Todeschatten feiern wollen, damit das Volk das im Finstern sitzt, endlich wieder Licht sieht und Hoffnung schöpft. Er würde genau wieder dort geboren werden, wo wunderbare Ratgeber dringend gebraucht werden, man sich nach einem starke Helden, einem ewigen Vater sehnt und der Friedefürst ein idealistischer Tagträumer scheint.

Vielleicht würde er wieder übermüdete Schäfer bei ihrer Nachtschicht überraschen, (die heutzutage vielleicht eine andere Jobbeschreibung haben, aber noch immer nicht in die feine Gesellschaft passen) – denen Gott aber mit Pomp und Gloria ein mächtiges Friedenslied singen ließ?

Bestimmt wären auch die Magier wieder von der Partie, denn Gott schreckt nicht ab, dass sie weder ihn noch seinen Sohn kennen. Vielmehr lässt er Lichtjahre entfernte Sterne unübersehbar blinken um zu rufen: “Hey, kommt mal her! Es gibt gute Neuigkeiten!”


Und ich? Werde ich in meiner von Kerzen beschienen Festtagsidylle sitzen bleiben oder
mich mit ihm auf den beschwerlichen Weg zum abgelegenen, schmutzigen Stall machen und dort die finden, für die sein Herz so heftig schlägt? Und mittendrin laut  rufen: Hey, es gibt gute Neuigkeiten! Er liebt uns so sehr, dass er den Himmel aufriss und für einen Futtertrog eintauschte. Und mitten dort wo Leid und Herzschmerz uns die Sprache verschlagen, hören wir nichtsdestotrotz die Engel laut singen: Frieden auf Erden!
Unsere zerbrochene Herzen sind gute Weihnachts-Gesellschaft, solange Gott hier mitten unter uns ist.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0